WAS ICH SO ERLEBTE IN DER WELT

Folge 4: CHINA

oder

Wie ich lernte, daß es möglich ist, Liebe in einem Schatzkästchen zu verstauen

 

 

Ein anderes Land, eine andere Kultur, Menschen, die mich nicht wirklich verstanden und die ich nicht wirklich verstand, so anders dachten und handelten sie. Martin, der junge Arzt aus Tansania dagegen, der in China Akupunktur lernen wollte, kam mir im Gegensatz dazu sehr vertraut vor. Wir sprachen die gleiche Sprache, Englisch, dachten in ähnlichen Konzepten, konnten über die gleichen Witze lachen.

 

Am ersten Abend, an dem ich ihn im Zimmer eines Kommilitonen traf, redeten wir non-stop vier Stunden. Wie schade, dachte ich mir zu Beginn dieses Abends, daß ein so interessanter Mann so häßlich ist. Eine Schönheit war Martin, wie ich objektiv betrachtet fand, nämlich nicht. Am Ende des Abends stellte ich keine objektiven Betrachtungen mehr an. Ich war verliebt.

 

Chinesen fanden unsere Liebe sonderbar. Ein Schwarzer und eine Weiße? Wir ernteten starrende Blicke und komische Kommentare. „Da muß die Liebe aber groß sein“, sagte ein Chinese zu mir, der im Bus hinter uns saß. „Warum?“ Ich verstand nicht, was er meinte. Er erklärte es mir: Blut veredelt oder beschmutzt anderes Blut. Schwarzes Blut ist weniger wert als weißes. Sollten wir Kinder zeugen, so würde das Kind edleres Blut haben als er, aber schmutzigeres als ich. Ich müsse ihn also sehr lieben, wenn ich freiwillig mein Blut beschmutzen lasse.

 

Das mit dem schwarzen Blut war nicht nur so dahingesagt. Viele Chinesen glaubten offenbar wirklich, daß das Blut von Schwarzen schwarz ist und nicht rot. Das erfuhren wir so: Eines Tages saß ein junger schwarzafrikanischer Medinzinstudent auf der obersten Treppenstufe des Studentenwohnheimes für ausländische Studierende der Medizinhochschule, wo auch Martin lebte. Er weinte, wie ich noch nie einen Mann habe weinen sehen. Ein Nervenzusammenbruch. Der Grund: Ein chinesischer Arzt hatte ihm Blut abgenommen. Er betrachtete dabei ungläubig abwechselnd den jungen Mann und das Blut im Röhrchen, bis er seinem Staunen endlich Worte verlieh: „Dein Blut ist ja auch rot!“ Erst glaubte der junge Mann, der Arzt scherze, das war aber, wie sich herausstellte, nicht der Fall. Für den jungen Mann, der mit einem Stipendium in China Medizin studieren wollte, brach damit eine Welt zusammen, da die Qualität eines chinesischen Medizinstudiums und damit seine gesamte Zukunft für ihn damit massiv in Frage gestellt wurde.

 

Ich sollte noch viel mehr erfahren darüber wie Chinesen über Ausländer im allgemeinen und Schwarze im besonderen dachten. Egal wo wir hinkamen, wurde uns „waigui“ hinterhergerufen, „ausländische Teufel“. Schwarze wurden zusätzlich „heigui“ genannt, „schwarze Teufel“. „Waigui“, so wurde ich belehrt, sei eigentlich nicht böse gemeint, das dürfe ich nicht falsch verstehen. Weiße seien ja eigentlich nicht böse, bloß ein bißchen wie Kinder. „Heigui“ dagegen, nun ja, mit Schwarzen sei das freilich etwas anderes. Sie seien halt so eine Mischung aus Affe und Teufel.

 

Martin berührte das nicht im Geringsten. Er hielt Chinesen für hoffnungslose Barbaren, die überallhin spuckten, wie die Schweine aßen, sich selten wuschen und ihre Mehrwegspritzen und Akupunkturnadeln nicht richtig desinfizierten. Martin fand es sehr witzig, daß die Barbaren ihn ihm den Barbaren sahen. Er machte sich ein Spiel daraus, sie das glauben zu lassen, was sie ohnehin schon wußten. Er sprach grundsätzlich kein Wort Chinesisch, sondern nur mit Händen und Füßen. Nach jeweils einigen Gesten kratzte er sich unter den Achseln und hüpfte etwas auf und ab dabei. Alle amüsierten sich köstlich – außer mir – ich versank fast im Erdboden vor Scham.

 

Abgesehen von der Affennummer lebten Martin und ich ein glückliches Leben und unsere zwei Auslandssemester vergingen im Flug. Es war Zeit, in unsere Heimatländer zurückzukehren. Martin hatte, wie er mir recht bald gestanden hatte, Frau und Kind in Tansania. Die Ehe war unglücklich, aber des Kindes wegen, das er sehr liebte, wollte er zurück zu seiner Familie. Und unsere Liebe? Was solle damit geschehen?, fragte ich ihn bei unserem Abschied. Die würde er in einem Schatzkästchen verstauen, das er in einen Schrank stellen werde. Und ganz gelegentlich einmal, da werde er den Schrank und das Schatzkästchen öffnen, unsere Liebe darin betrachten und sie dann wieder wegschließen.

 

Eine Liebe so groß wie die unsrige? Ich glaubte ihm nicht, daß das möglich war, und wartete lange, doch hörte nie mehr von ihm.

 

Bild: Nina Rinkes
Bild: Nina Rinkes

Das Bild zeigt ihn und mich im Park des Volkes in Chengdu.

 

Seinen Namen und sein Herkunftsland habe ich in der Geschichte verändert.